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«Tabakrauch ist das gesundheitliche Hauptrisiko von Cannabiskonsumierenden»

Ausgabe Nr. 139
Dez. 2023
Cannabispolitik – wie weiter?

Im Unterschied zu Tabak ist Cannabis nicht per se krebserregend. Deshalb sei er als Hausarzt weniger daran interessiert, dass die Leute aufhören, Cannabis zu konsumieren, als dass sie aufhören, Tabak zu rauchen, sagt Reto Auer, Leiter der Pilotstudie zum kontrollierten Cannabisverkauf in Bern, Biel und Luzern.

Herr Auer, wieso führen Sie eine Studie zum regulierten Cannabisverkauf durch?

In der Schweiz leben rund 300 000 Menschen, die Cannabis konsumieren. Weil aber Produktion und Konsum verboten sind, gibt es keine Qualitätskontrolle der Ware, die auf dem Schwarzmarkt in Umlauf ist. Dadurch sind Cannabiskonsumierende einem erhöhten Risiko ausgesetzt, mit schädlichen Substanzen und gefährlichen synthetischen Cannabinoiden in Kontakt zu kommen. Wir wollen mit unserer Studie prüfen, ob eine kombinierte Intervention – also der regulierte Verkauf mit einem gleichzeitigen Angebot für eine Rauchstoppberatung in den Apotheken – die Sicherheit und Gesundheit von Cannabiskonsumierenden verbessern kann. In Zusammenarbeit mit der Stadt Bern wollten wir diese Studie schon vor acht Jahren durchführen. Wir hatten für die Durchführung der Studie auch schon erfolgreich Geld beim Schweizerischen Nationalfonds eingeworben.

«Wir wollen mit unserer Studie prüfen, ob eine kombinierte Intervention – also der regulierte Verkauf mit einem gleichzeitigen Angebot für eine Rauchstoppberatung in den Apotheken – die Sicherheit und Gesundheit von Cannabiskonsumierenden verbessern kann.»

Und dann?

Dann hat uns das BAG untersagt, die Studie durchzuführen, weil der von der Studie vorgesehene Verkauf von nicht-medizinischem Cannabis inkompatibel war mit der damaligen Version des Betäubungsmittelgesetzes. Daraufhin haben das Parlament und der Bundesrat das Gesetz mit einem Experimentierartikel ergänzt, der schliesslich Mitte Mai 2021 in Kraft getreten ist. So haben wir dann einen neuen Anlauf genommen. Wir haben das Studienprotokoll angepasst, aber eigentlich ist die grundlegende Fragestellung gleich geblieben: Wie soll eine mögliche künftige Regulierung von Cannabis aussehen? Wir möchten mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Studie einen Beitrag leisten zur Diskussion, wie eine verantwortungsvolle Cannabispolitik in der Schweiz gestaltet werden könnte.

Was verstehen Sie unter «verantwortungsvoller Cannabispolitik»?

Wir nehmen in unserer Studie die gleiche Haltung ein, wie sie auch die Eidgenössische Kommission für Fragen zu Sucht und Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (EKSN) vertritt: Cannabis soll kontrolliert und legal zugänglich sein, aber der Konsum soll nicht gefördert werden. Konkret heisst das, dass wir in unserer Studie keine Werbung für die Cannabisprodukte zulassen. Und dass wir sie in einer neutralen Verpackung und zu einem relativ hohen Preis anbieten, obwohl die Apotheken, die bei uns in der Studie mitmachen, mit dem Erlös aus dem Verkauf nur den entstandenen Aufwand decken – aber damit keinen Gewinn erzielen.

In Ihrer Studie scheinen Apotheken eine wichtige Rolle zu spielen.

Ja, dadurch unterscheidet sich unser Pilotversuch von den anderen Versuchen. In Zürich werden die Cannabisprodukte zum Teil in sogenannten Social Clubs verkauft, in Lausanne und Genf werden Modelle getestet, die sich eher an der Situation in Quebec orientieren, wo Cannabisprodukte in staatlichen Cannabis-Shops verkauft werden – und die Gewinne aus dem Verkauf zurück zum Staat fliessen, der damit Jugendschutzmassnahmen und Präventionsprogramme finanzieren kann.

In unserer Studie lehnen wir uns mehr an das Modell in Uruguay an, deshalb arbeiten wir eng mit Apotheken zusammen. Zum einen, weil das sehr einfach umzusetzen ist, weil Pharmazeutinnen und Pharmazeuten schon langjährige Erfahrung im Umgang mit Betäubungsmitteln haben. Und zum anderen, weil wir in unserer Studie nicht nur die Auswirkungen des Verkaufs von Cannabisprodukten, sondern auch des Beratungsangebots untersuchen möchten. Unsere Hypothese lautet: Wer besser darüber Bescheid weiss, was er konsumiert, und wer sich dabei auch weniger stigmatisiert und besser abgeholt fühlt, wird auch eher bereit sein, eine Beratung in Anspruch zu nehmen. Erstmals werden die Apotheken in der Studie auch für Rauchstoppberatungen von den Krankenkassen entgolten. In diesem Punkt haben wir mit der Studie Neuland betreten – und einen Wechsel im Denken eingeläutet, der meiner Meinung nach zukunftsweisend ist. Was Apotheken einnehmen, sollte nicht nur davon abhängen, wie viele Medikamente sie verkaufen, sondern auch davon, welche Dienstleistungen sie erbringen.

Apothekerinnen und Apotheker haben langjährige Erfahrung im Umgang mit Betäubungsmitteln, und mit dem Studiensetting in Apotheken kann auch das Beratungsangebot untersucht werden.

Motiviert das die Apotheken, bei der Studie mitzumachen?

Ja, sicher, aber sie sind auch aus einem weiteren Grund an der Mitarbeit interessiert. Denn in unserer Studie bietet sich ihnen die Gelegenheit, sich als Grundversorger stärker als bisher mit der Hausärzteschaft und anderen Akteuren im Gesundheitswesen zu vernetzen: Wenn sie zum Beispiel merken, dass der Cannabiskonsum einer Studienteilnehmerin oder eines Studienteilnehmers ein problematisches Ausmass annimmt oder jemand eine Psychose entwickelt, können sie zu einem frühen Zeitpunkt das Gespräch mit der Person suchen und die betroffene Person gegebenenfalls auch gleich an die zuständigen Fachstellen verweisen.

Was erhoffen Sie sich von der Rauchstoppberatung?

Wir wissen, dass ungefähr die Hälfte der Cannabiskonsumierenden in der Schweiz auch täglich Zigaretten raucht. Und dass etwa 80 Prozent Tabak gemischt mit Cannabis konsumieren. Wir möchten prüfen, was es gesundheitlich bringt, wenn die Leute nicht mehr rauchen und stattdessen Cannabis essen oder es in Vaporizern oder E-Joints verdampfen. Denn das gesundheitliche Hauptrisiko von Cannabiskonsumierenden ist ihr Tabakkonsum. Als Hausarzt bin ich nicht so sehr daran interessiert, dass die Leute aufhören, Cannabis zu konsumieren, sondern dass sie aufhören, Tabak zu rauchen.

«Wir möchten prüfen, was es gesundheitlich bringt, wenn die Leute nicht mehr rauchen und stattdessen Cannabis essen oder es in Vaporizern oder E-Joints verdampfen.»

Weil Cannabis die Gesundheit weniger stark schädigt als Tabak?

Ja, denn Tabak ist per se krebserregend, auch wenn er nicht geraucht wird, sondern zum Beispiel als Snus-Päckchen unter die Lippen geklemmt wird. Für Cannabis hingegen gibt es ziemlich gute Daten, die belegen, dass der Konsum nicht zu Lungenkrebs führt. Zudem wurde in den letzten 15 Jahren – vor allem in den USA – sehr viel Forschung gemacht zum Thema, wie gefährlich Cannabis ist. Die Daten zeigen sehr klar, dass Personen, die nur Cannabis, aber keinen Tabak konsumieren, keine Nierenschäden und Herzkranzgefässverengungen aufweisen, die für Raucherinnen und Raucher typisch sind. Auch wenn man die Leistungsfähigkeit ihrer Lungen misst, schneiden Cannabiskonsumierende viel besser ab. Diese grossen Unterschiede haben wahrscheinlich auch damit zu tun, dass viele Cannabiskonsumierende vielleicht ein bis zwei Joints pro Woche rauchen, also deutlich weniger als die täglichen zehn bis zwanzig Zigaretten eines typischen Rauchers. Cannabiskonsumierende sind deshalb gegenüber all den Giftstoffen, die im Rauch enthalten sind, weniger stark exponiert. Trotzdem zielen wir in der Studie darauf ab, dass die Leute lieber nicht rauchen. Beim Tabak wissen wir, dass die Leute nicht wegen des Nikotins, sondern wegen des Rauchs sterben. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass das beim Cannabis ähnlich ist. Das möchten wir – in einer Folgestudie – demnächst auch untersuchen.

In Ihrer Pilotstudie steht die Schadenminderung im Vordergrund.

Ja, aber nicht im Sinn, wie die Tabakindustrie das Wort verwendet. Natürlich haben Unternehmen wie Philip Morris Produkte entwickelt, die weniger schädlich sind als Zigaretten. Aber wenn sie diese neuen Produkte auch an Personen verkaufen, die vorhin nicht geraucht haben, betreiben sie keine Schadenminderung, sondern Profitmaximierung. Wir hingegen möchten, ausgehend von der Tatsache, dass viele Personen Cannabis konsumieren, wissen, wie wir als Gesellschaft sicherstellen können, dass sie das so risikoarm wie möglich tun, ohne dass wir die risikoärmeren Produkte an Neukunden verkaufen möchten.

Also geht es in Ihrer Studie nicht darum, den Schwarzmarkt zu bekämpfen?

Nein, unsere Studie ist explizit nicht darauf ausgelegt, zu untersuchen, wie sich der Cannabisverkauf in den Apotheken auf den Schwarzmarkt auswirkt. Das liegt auch daran, dass wir nur rund 1000 Personen in die Studie einschliessen – und den Teilnehmenden dabei die Wahl offenlassen, ob sie ihr Cannabis in den Apotheken oder weiterhin auf dem Schwarzmarkt erstehen. Hinzu kommt: Im Vergleich zu anderen Drogen – etwa MDMA oder Heroin – ist die Herstellung von Cannabis denkbar einfach. Cannabis wird im Englischen nicht umsonst als «Weed», also als Unkraut oder Gras, bezeichnet: Es wächst überall. Und wie sich in der Vergangenheit erwiesen hat, ist die Schweiz für den Hanfanbau sehr gut geeignet: Ich komme aus Graubünden, wo Ortschaften wie etwa Schanf den Hanf noch heute in ihrem Namen tragen.

Befürchten Sie, dass Ihre Studie einigen Personen den Weg in die Sucht weist?

Nein, denn um uns dagegen abzusichern, haben wir vorgeschrieben, dass alle, die sich für eine Studienteilnahme interessieren, eine Urinprobe abgeben müssen, um zu beweisen, dass sie schon vor Beginn der Studie Cannabis konsumiert haben. Wir wollen vermeiden, dass jemand aufgrund der Studie neu damit anfängt. Ausserdem ist mir wichtig, hier deutlich festzuhalten: Drogenkonsum ist noch lange keine Sucht. Und es ist auch nicht das Suchtmittel, das allein süchtig macht. Es wirken immer mehrere Faktoren zusammen, so spielen etwa die Lebensgeschichte und das erlernte Problemlöseverhalten einer Person bei der Entwicklung einer Sucht eine wichtige Rolle. Deshalb weist auch nur eine Minderheit – ungefähr 20 Prozent – aller Konsumierenden einen problematischen Konsum auf, sodass ihr Sozialleben und ihre Arbeit darunter leiden. Das gilt nicht nur für Cannabis, sondern auch für Alkohol oder Heroin.

Wo sehen Sie die Vor- und Nachteile einer Regulierung des Cannabisverkaufs?

Grundsätzlich kann man die aktuellen Probleme, die durch das Verbot und den Schwarzmarkt entstehen, nur angehen, wenn man den Cannabisverkauf reguliert. So gesehen liegen die Vorteile einer Regulierung also auf der Hand. Zu den möglichen Nachteilen werden wir mit unserer Studie keine Aussage machen können. Befürchtet wird zum Beispiel, dass die Regulierung ein falsches Signal an die Jugendlichen sendet, sodass sie die Aufhebung des Verbots vielleicht dahingehend interpretieren, dass das Cannabis also doch nicht so gefährlich ist. Eine weitere – und in meinen Augen berechtigte – Befürchtung: Bei der Regulierung von Tabak und Alkohol haben wir in der Schweiz bisher einen sehr schwachen Leistungsausweis erbracht. Warum soll das bei Cannabis anders laufen – und können wir als Gesellschaft tatsächlich den Marktkräften widerstehen?

«Grundsätzlich kann man die aktuellen Probleme, die durch das Verbot und den Schwarzmarkt entstehen, nur angehen, wenn man den Cannabisverkauf reguliert.»

Und zum Schluss: Wo ordnen Sie Ihre Pilotstudie in diesem Spannungsfeld ein?

Das Parlament und der Bundesrat haben das Betäubungsmittelgesetz angepasst, um Pilotversuche zum kontrollierten Verkauf von Cannabis zu ermöglichen. Ich verstehe das als Einladung an die Forschungsgemeinschaft, nun verschiedene Regulierungsansätze auszuarbeiten. Und diese dann – so unabhängig wie möglich – auch zu prüfen. Gleichzeitig hoffe ich, dass das im Umkehrschluss auch heisst, dass die Politik die Ergebnisse hilfreich finden wird – und bereit ist, sie im weiteren Gesetzgebungsprozess zu berücksichtigen.

Prof. Dr. med. Reto Auer

Reto Auer hat an den Universitäten Neuenburg, Lausanne und Humboldt zu Berlin Humanmedizin studiert und ist seit 2016 als Hausarzt bei einer Gemeinschaftspraxis in Bern sowie als Leiter des Bereichs Substanzkonsum am Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM) tätig. In Zusammenarbeit mit Forschenden an den Universitäten Bern und Luzern leitet Auer die Pilotstudie namens SCRIPT (Safer Cannabis – Research in Pharmacies randomized controlled Trial).

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